Psychologische Grundbedürfnisse steuern dich, weil du versuchst, sie ständig zu befriedigen - bewusst und unterbewusst. Wenn ich von Bedürfnissen rede, meine ich aber nicht die Bedürfnisse, die Maslow in seiner Bedürfnispyramide dargestellt hat (kennst du sehr wahrscheinlich), sondern die psychologischen Grundbedürfnisse, die Klaus Grawe beschrieben hat.
Erstere sind sehr bekannt, die psychologischen Grundbedürfnisse kennen aber meistens nur Fachleute. Eins haben sie aber gemeinsam: Wenn sie nicht befriedigt werden, geht es dir nicht gut.
Aber das Wichtigste (bei mir geht es ja immer um Konflikte...): In Konflikten ist jedes einzelne dieser Grundbedürfnisse gestört oder nicht erfüllt.
Was sind die 4 psychologischen Grundbedürfnisse nach Klaus Grawe?
Wer aktiv auf seine Bedürfnisse achtet, ist stabiler und gesünder. In der Mitarbeiterführung zum Beispiel ist es eine gute Idee, die psychologischen Grundbedürfnisse zu beachten. Sind sie erfüllt, entstehen weniger Konflikte und weniger Schwierigkeiten in Unternehmen.
Psychologische Grundbedürfnisse sind aber nicht die einzigen Faktoren, die unser Konfliktverhalten massiv beeinflussen - auch Glaubenssätze und Wahrnehmung sind wichtige Stellschrauben.
Laut Klaus Grawe hat der Mensch vier psychologische Bedürfnisse, die gleichwertig nebeneinander bestehen:
- das Bedürfnis nach Lustgewinn und Unlustvermeidung
- das Bedürfnis nach Bindung
- das Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung
- das Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle
Die psychologischen Grundbedürfnisse nach Klaus Grawe - Abbildung aus den Unterlagen meiner Konfliktmanagementtrainings
Werden eins oder mehrere Bedürfnisse nicht erfüllt, geraten wir in ein Ungleichgewicht. Das kann sich durch Stress, Ängste und Süchte zeigen. Wie du merkst, dass ein Bedürfnis nicht erfüllt ist und was du in so einem Fall tun kannst, sehen wir uns gleich mal an.
1. Das Bedürfnis nach Lustgewinn und Unlustvermeidung
Dieses Bedürfnis äußert sich darin, dass wir lusterzeugende Reize suchen und unlusterzeugende Reize vermeiden. Also haben wir eine Tendenz, angenehme Zustände zu verstärken und unangenehme abzuschwächen.
Am Arbeitsplatz versuchen wir deshalb, mühsame Aufgaben zu vermeiden oder hinauszuschieben, während wir Aufgaben, die uns leicht von der Hand gehen und wo wir Erfolge haben, im Nu erledigt sind. Das wäre alles großartig, wenn wir nur Aufgaben zu erledigen hätten, die in die angenehme Kategorie fallen. So einen Arbeitsplatz gibt es aber kaum.
Arbeiten, die Unlust erzeugen, kosten uns ein Vielfaches an Energie, während uns lusterzeugende Arbeiten sogar mit Energie aufladen können. Du tüftelst vielleicht gerne 60 Stunden in der Woche an deinem neuesten Projekt, aber sobald du Spesenabrechnungen oder Schriftverkehr erledigen sollst, bist du schon nach einer Stunde erschöpft, genervt und lustlos.
Wie sich das Bedürfnis nach Lustgewinn und Unlustvermeidung auf dein Konfliktverhalten auswirkt
Dieses Bedürfnis kann dein Konfliktverhalten sowohl negativ als auch positiv beeinflussen. Negativ wirkt es, wenn du unangenehme Aufgaben und Konflikte vermeidest, was irgendwann zu größeren Problemen führt.
Positiv ist es, wenn du lusterzeugende Aktivitäten nutzt, um deine Motivation und Energie zu steigern, was dir hilft, Konflikte proaktiv und konstruktiv anzugehen.
Um dein Konfliktverhalten zu verbessern und dieses psychologische Grundbedürfnis zu befriedigen, versuche, unangenehme Aufgaben schrittweise zu erledigen und Erfolge zu feiern, um ein positives Gefühl zu erzeugen.
2. Das Bedürfnis nach Bindung
Unser Verhältnis zu Bindung wird im frühkindlichen Alter geprägt. Sichere Bindungen entstehen dadurch, dass Bezugspersonen in belastenden Situationen verfügbar sind. Kinder, die überhaupt keine Bindung zu Bezugspersonen erfahren, sterben oder tragen schwere, irreparable Schäden davon.
Fehlende Bindung wirkt sich immens auf unser Wohlbefinden und unsere geistige, wie körperliche Gesundheit aus. Vereinsamte Menschen sind öfter krank und sterben früher. Bindung ist genauso wichtig wie essen und trinken.
Quelle: leitung-supervision.de
In Unternehmen stillen wir unser Bedürfnis nach Bindung in der Zusammenarbeit in Teams und mit Kollegen. Um diese Bindungen zu stärken, kommen diverse Maßnahmen infrage – am besten ist es, auch mal Zeit miteinander zu verbringen, ohne dass diese dem Thema Arbeit gewidmet ist. Das muss nicht zwingen ein Event oder eine externe Veranstaltung sein – gemeinsame Kaffeepausen sind schon ein Anfang.
Wie sich das Bedürfnis nach Bindung auf dein Konfliktverhalten auswirkt
Ein starkes Bedürfnis nach Bindung kann dein Konfliktverhalten negativ beeinflussen, wenn du Konflikte vermeidest, um Harmonie zu wahren - irgendwann explodiert es ja meistens doch und dann ist es noch schlimmer.
Positiv ist es, wenn du durch sichere Bindungen Unterstützung und Vertrauen erfährst, was dir hilft, Konflikte offen und ehrlich anzusprechen.
Verbesserungen kannst du erreichen, indem du Beziehungen zu Kollegen aufbaust und pflegst, auch durch gemeinsame Aktivitäten und offenes Feedback.
3. Das Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung
Menschen haben das Bedürfnis, anerkannt und wertgeschätzt zu werden. Wir wollen besonders und bedeutend sein. Das ist in der Psychologie das Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung. Du wärst gerne Everybodys Darling? Das ist ganz normal – du versuchst, dein Bedürfnis zu befriedigen (auch wenn du weißt, dass das sehr wahrscheinlich nicht geht).
People want to feel good about themselves. They want to believe that they are competent, worthy, and loved by others.
William Mc Dougall
Psychologe
Wenn das Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung nicht befriedigt wird, tun wir fast alles, um gemocht zu werden. Das ist für das Umfeld schnell anstrengend. Auch die umgangssprachlich verankerte „Harmoniesucht“ hat hier ihren Ursprung. Menschen, die übermäßig nach Harmonie streben, empfinden meistens einen Mangel an Selbstwerterhöhung.
Um einschätzen zu können, wo wir hinsichtlich unseres „Werts“ stehen, vergleichen wir uns mit anderen. Die Bilanz kann positiv oder negativ ausfallen, je nachdem, wie wir uns und die anderen wahrnehmen und bewerten. Fällt sie negativ aus, werten wir uns oft innerlich zusätzlich noch ab, was die Negativspirale anheizt – diese Dynamik hat nicht selten Depressionen zur Folge.
Wie sich das Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung auf dein Konfliktverhalten auswirkt
Dieses Bedürfnis kann negativ wirken, wenn du ständig Anerkennung suchst und Konflikte vermeidest, um Kritik zu entgehen, was zu Selbstzweifeln und Unsicherheit führt.
Positiv ist es, wenn du durch Anerkennung und Wertschätzung Selbstvertrauen aufbaust, was dir hilft, Konflikte selbstbewusst zu lösen.
Du kannst die Erfüllung dieses Bedürfnisses fördern, indem du dir realistische Ziele setzt und kleine Erfolge anerkennst, um dein Selbstwertgefühl zu stärken.
4. Das Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle
Wir haben gerne den Überblick und wissen, was auf uns zukommt. Das Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle ist ein Bedürfnis nach Sicherheit und auch Autonomie. Wir möchten uns auf andere verlassen können und selbst darüber entscheiden, wie wir unser Leben gestalten. Aber auch über unser Innenleben möchten wir bestimmen – wir wollen verstehen, warum es uns gut oder schlecht geht und wie wir das beeinflussen können.
“Das Kontrollbedürfnis ist ein Bedürfnis, etwas zu können, was zur Herbeiführung und Aufrechterhaltung der eigenen Ziele wichtig ist.
Etwas nicht im Sinne eigener Ziele kontrollieren zu können, stellt eine schwerwiegende Verletzung des Grundbedürfnisses nach Kontrolle dar“.
Klaus Grawe
Psychologe
Das Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle haben wir zwar alle, es ist aber nicht bei jedem Menschen gleich stark ausgeprägt. Während dem die einen sehr genaue Regeln und Rahmenbedingungen brauchen, fühlen sich andere mit mehr Freiheit (und Ungewissheit) wohl.
Viele psychische Störungen hängen mit dem mangelhaft befriedigten Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle zusammen; es kann zu Anpassungsstörungen, posttraumatischen Belastungsstörungen, Angststörungen sowie Zwangsstörungen kommen.
Wie sich das Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle auf dein Konfliktverhalten auswirkt
Ein stark ausgeprägtes Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle führt dazu, dass du in Konflikten starr auf deinen Standpunkten beharrst und Schwierigkeiten hast, Flexibilität zu zeigen.
Positiv wirkt es, wenn du durch klare Strukturen und Erwartungen Sicherheit gewinnst, was dir hilft, Konflikte strukturiert und lösungsorientiert anzugehen.
Du kannst einen Schritt weiter kommen, indem du dir flexible Denkmuster angewöhnst, an deinen Glaubenssätzen arbeitest und offen für neue Informationen bleibst, um deine Kontrollbedürfnisse zu balancieren.
Fazit - erfüllte Bedürfnisse machen Konflikte leichter
Psychologische Grundbedürfnisse spielen eine zentrale Rolle in unserem Konfliktverhalten. Wenn diese Bedürfnisse nicht erfüllt werden, fallen uns Konflikte noch schwerer, als sie sonst schon sind.
Das Bedürfnis nach Lustgewinn und Unlustvermeidung etwa kann zu Prokrastination und Konfliktvermeidung führen, während das Bedürfnis nach Bindung beeinflusst, wie wir Beziehungen pflegen und Konflikte lösen. Die Selbstwerterhöhung wiederum beeinflusst unser Streben nach Anerkennung und Harmonie, während das Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle unsere Reaktion auf Unsicherheit und Veränderungen prägt.
Indem du diese Bedürfnisse (er-)kennst und dir bewusst machst, welche Mechanismen sie auslösen, kannst du dein Konfliktverhalten aktiv verbessern. Weitere Hinweise auf die Hebel, die du dafür hast findest du in meinem Artikel zur Konfliktpsychologie.